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Alice im Agile-Land – eine Tester Geschichte

Pia Wiedermayer & Romano Roth


Wie hat sich die Softwareentwicklung durch DevOps, Agile und andere aufkommende Trends verändert? Ein Erklärungsversuch in Form einer altbekannten Geschichte.


Der nachfolgende Blogpost wurde erstmals auf der Zühlke Website im Februar 2021 veröffentlich.


Es war einmal, vor langer Zeit, in einem weit entfernten Land. Oder war es nicht erst gestern in unserem Land, in unserer Stadt, in unserer Firma? Wie dem auch sei, genau dort ist Alice.

Alice ist mit Leib und Seele Testerin. Ihr Herz schlägt für Softwarequalität. Zufriedene Benutzer und keine Fehler in der Produktion, dafür brennt sie. In letzter Zeit hat sie jedoch das Gefühl von ihren Prinzipien verbrannt zu werden. Die Welt spricht plötzlich eine andere Sprache. Eine Sprache die Alice nicht versteht.


Die gute alte Zeit gibt es nicht mehr

Agil oder so, muss man jetzt sein. Dokumentation, Spezifikation, das brauchen wir nicht. Wir sind agil, wir sind schnell! Wir haben keine Zeit für langwierige Testvorbereitung und -durchführung. Automation ist das neue Testing. Und was ist mit Alice?

In der «guten alten Zeit» war Alices Aufgabe klar. Du bist dran, wenn alle anderen fertig sind. Alice fühlte sich dabei oft wie ihr Kollege namens Hase, der panisch die Zeiger der Uhr verfolgte, hektisch über die Gänge hetzte und doch immer zu spät kam. Nichtsdestotrotz, Alice wusste was zu tun war. Sie hatte nie genug Zeit ihre Aufgaben vollumfänglich zu erfüllen, aber der Auftrag war klar und die Rahmenbedingungen waren definiert. Sie hatte was sie benötigte, mal abgesehen von dem vernachlässigbaren Faktor Zeit.

Heute ist Alice in einem Projekt umgeben von MVPs, Epics, Stories, Sprints, Reviews, Retrospektiven, Refinements, Plannings, POs, Scrum Masters, Automation-Engineers, Developers, DevOps-Engineers, und jeder Menge agiler Typen und Buzzwords. Jeder ist in einem Team. Sei es in einem Development-Team, DevOps-Team, einem Scrum-Team, einem Einhorn-Team oder was auch immer gerade «fancy» klingt und unbedingt ein eigenes Team braucht. Alle sind in einem Team, alle ausser Alice. Hat nicht jemand gesagt: «Agile» ist ein Teamsport? Alice sitzt wohl auf der Ersatzbank.

Das alte Testing-Team gibt es nicht mehr. «Das war sowieso viel zu teuer.» Alice fühlt sich verloren und weiss nicht recht, wie sie ihre Aufgabe so ganz allein erledigen soll.

Ständig kommen projektinterne und externe Personen auf Alice zu und fragen nach der Qualität der Software. Alice hasst unfundierte Aussagen über die Qualität und so testet sie Tag und Nacht und fühlt sich doch nicht in der Lage eine solide Bewertung abzugeben.

Ständig ändert die Software. Aber was ist eigentlich das erwartete Ergebnis? Was soll das neue Feature genau können? «Steht alles in der Story», hört Alice ständig. «Und frag ja nie nach Dokumentation», das hat sich Alice hinter die Ohren geschrieben. «Die haben mich angesehen wie eine Ausserirdische oder die Grinsekatze».

Was es mit diesen «Stories» genau auf sich hat und warum man Funktionen oder Anforderungen nicht mehr als solche bezeichnen darf versteht Alice nicht.

Aber sie hat auch gar keine Zeit diese Fragen zu klären. Sie muss testen. Testen damit sie die Qualität beurteilen kann. Und dabei wird sie auch noch ständig von der Entwicklung blockiert. Da wird deployed wie man lustig ist und die Testumgebung steht nie stabil zur Verfügung.

Alice hat es nicht leicht. Dabei will sie doch nur eins – Software in guter Qualität liefern, für die Benutzer, für das Projekt, für das «Team», um jedem einzelnen das Leben ein Stückchen leichter zu machen.

Doch immer ist sie zu langsam und keiner sieht den konkreten Sinn ihrer Arbeit. Sie ist verzweifelt. Und jetzt? Aufgeben? Mitnichten!

Sie erinnert sich an ihren alten Bekannten, der Hüte herstellt. Vielleicht hat der Hutmacher eine Idee wie sie ihre Lage den anderen verständlich machen kann? Vielleicht setzt der ein oder andere sogar mal ihren Hut auf?


Alles ist im Wandel

Tags darauf am Kaffeetisch des Hutmachers erzählt Alice von ihrer misslichen Lage.

Alice fragt: «Verstehst du jetzt, warum ich so verzweifelt bin?»

Hutmacher: «Oh Alice, tut mir leid zu hören, dass es dir schlecht geht. Aber sieh es doch mal so: alles ist im Wandel. Warum also nicht auch deine Aufgabe? Das muss nicht gleich etwas Schlechtes sein. Das kann eine grossartige Chance sein dich neu zu organisieren, deine Zeit und deine Fähigkeiten effizienter einzusetzen. Sehen wir uns doch mal deine Rolle und den Prozess an. Seien wir ehrlich: die Wertschätzung für deinen Job liess zu wünschen übrig. Wichtig war, dass alle Tests ausgeführt und grün waren. Aufgrund des erhöhten Tempos ist das heute nicht mehr möglich. Die anderen werden quasi gezwungen Qualität von Beginn an einzubauen. Sie können es sich nicht mehr leisten, Fehler teuer im Nachgang zu flicken. Man nennt das «Shift Left». Genau da musst du ansetzen! Zeig ihnen wie du sie unterstützen kannst hier besser zu werden. Gib ihnen konkrete Beispiele wie sie ihre Stories eindeutiger formulieren, ihre Unit- und Integrationstests besser schreiben können sodass Fehler bei der Implementierung vermieden werden. So schlägst du mehrere Fliegen mit einer Klappe: Fehler landen gar nicht erst im Code und du kannst deine Testszenarien auf die Fälle konzentrieren, die noch nicht auf unteren Teststufen abgedeckt wurden. Du kannst deine Zeit effizienter einsetzen und hilfst deinem Kollegen ihre Quality Assurance (QA)-Skills zu verbessern. Alle Mitarbeitenden im Projekt werden somit inoffizielle Teamkollegen von dir. Klingt doch gut, oder?»

Alice: «Total, der Gedanke gefällt mir! Obwohl, heute muss man doch alles automatisieren. Das kann ich nicht. Mir fehlen die Skills dafür und so blockiere ich doch nur wieder wichtige Entwicklungsressourcen.»

Hutmacher: «Ach ja, die liebe Automation. Viele meinen damit den Stein der Weisen, die Lösung für alles gefunden zu haben. Doch ist es vielmehr so, dass kein Automat einen Fehlerfall aufdeckt an den, der Mensch, der ihn entwickelt hat, nicht gedacht hat. Du kannst also beruhigt sein, Alice. Du musst keine Automatisiererin werden, wenn du das nicht möchtest. Du bist vielmehr das Brain hinter der Automatisierung. Du sagst was automatisiert werden soll und was nicht. Und das kannst du am besten, weil du diesen riesigen Erfahrungsschatz und diese besondere Quality-Attitüde mitbringst, die man in deinem Job braucht. Automatisieren können andere vermutlich besser und das ist völlig okay so. Lenk die Aufmerksamkeit der anderen darauf was du richtig gut kannst und mach dich nicht klein, nur weil du die oder andere Sache (noch) nicht kannst.»

Alice: «Stimmt, da könntest du recht haben. Aber was ist mit diesem neuen Artificial Intelligence (AI) Zeugs von dem alle reden? Ersetzt das nicht mein Tester-Brain? Mach mich das nicht doch nutzlos?»

Hutmacher: «Alice, Alice! Hast du mir nicht zugehört? Du wirst nicht nutzlos, solange du nicht müde wirst dich zu entwickeln! Nutz jede neue Technologie zu deinem Vorteil. Informiere dich welche Möglichkeiten künstliche Intelligenz dir bietet und überleg, wie du diese für dich gewinnbringend integrieren kannst. Ich bin überzeugt davon, dass dir AI helfen kann deine Zeit und deine Fähigkeiten noch besser einzusetzen. Und ja, vielleicht wird der ein oder andere Arbeitsschritt dadurch hinfällig. Aber, ist das nicht großartig? Du hast mehr Zeit für andere, spannendere Dinge. Also steh dir selbst nicht im Weg und lass Automaten für dich arbeiten, wann immer es sinnvoll für dich ist.»

Alice: «Okay, ich denke ich hab’s verstanden. Ich soll also auch diese ganze DevOps-Geschichte zu meinem Vorteil nutzen, richtig? Dort wird automatisiert was das Zeug hält und doch läuft nicht immer alles glatt.»

Hutmacher: «Unbedingt, DevOps ist prädestiniert dafür. Der Cycle funktioniert nur mit den richtigen Menschen und Mindsets im Hintergrund. Da ist auch eine gute QA-Person erforderlich. Es braucht jemand, der das Team enabled, Qualität im ganzen Zyklus zu integrieren. Die passenden Tools um die Geschwindigkeit effektiv umzusetzen und zuhalten sind natürlich genauso wichtig. Am Ende machen doch die Menschen den Unterschied.»

Alice: «Gilt das nicht für alle agilen Modelle?»

Hutmacher: «Gratuliere, Alice! Jetzt hast du es verstanden. Egal ob Scrum, Kanban oder was auch immer, ohne die Menschen mit den passenden Mindsets ist das beste Modell zum Scheitern verurteilt.»

Alice: «Qualität ist also nicht mehr allein meine Aufgabe. Qualität ist ein Team Effort! Das bedeutet jeder ist für die Qualität verantwortlich und muss seinen Beitrag leisten. Sei es die Anforderungen so präzise wie möglich zu formulieren, Tests auf allen Ebenen möglichst effizient zu designen und umzusetzen, sinnvolle Tools zur Unterstützung dieser Aufgaben zu finden und zu integrieren oder die Testausführung. Das alles hängt nicht mehr an einzelnen Testern sondern geht in die Verantwortung des ganzen Teams über. Und ich darf meine Teamkollegen coachen und unterstützen die entsprechenden Skills aufzubauen und stetig zu verbessern. Das klingt super!

Ja, meinen alten Job gibt es so nicht mehr und das ist okay. Ich habe tolle neue und spannende Möglichkeiten erkannt, wie ich mich einbringen kann. Danke, lieber Hutmacher für deine Unterstützung.»


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